Im Juni stand ich auf einmal mit Abitur da, aber leider ohne Ahnung, was ich mit meiner Zukunft anfangen soll. Während sich meine Freunde sofort zum Studieren entschieden, wusste ich, dass ich dazu noch nicht bereit war, mich auf eine Studienrichtung festzulegen. Schweren Herzens entschied ich mich, einen anderen Weg zu gehen als alle anderen um mich herum. Ich entschied als Aupair nach Australien zu gehen und bewarb mich bei IST. Australien – das Land auf der anderen Seite der Welt, mit den vielen gefährlichen Tieren, Autofahren auf der linken Seite, fern ab von allem mir Bekannten, weit weg von Familie und Freunden. Es war wahrscheinlich das Unbekannte was mich reizte. Dass ich meinen Traum von Australien wirklich wahr mache, hat mir eigentlich niemand so wirklich zugetraut. Umso erstaunter waren alle, als ich dann endlich eine Gastfamilie gefunden hatte und meinen Flug nach Melbourne buchen konnte. Als ich mich von meinen Eltern am Flughafen verabschieden musste, wurde mir klar, dass ich nun meine gesicherte und behütete Welt, in der ich bisher lebte, verlasse und ins Ungewisse fliege. Zwar hatte ich mit meiner Gastfamilie einige Male telefoniert, Emails geschrieben und Fotos zugeschickt. Sie waren mir von Anfang an sympathisch. Doch trotz allem waren es für mich zu diesem Zeitpunkt noch fremde Menschen. Mit einem mulmigen Gefühl stieg ich ins Flugzeug. Auf dem Weg nach Australien fragte ich mich immer wieder, was ich mir eigentlich dabei gedacht habe, ans andere Ende der Welt zu gehen. In Melbourne angekommen holte mich meine Gastmutter (Leanne) am Flughafen ab. Sie gab mir von Anfang an das Gefühl, in ihrer Familie wirklich willkommen zu sein. In meinem neuen Zuhause angekommen, lernte ich endlich die Kinder (Laura (6), Jessica (4) und Abbey (2)) und meinen Gastvater (George) kennen. Anfangs war es ein komisches Gefühl dort zu sein, doch meine Gastfamilie bemühte sich rührend darum, dass ich mich schnell einlebe. Leanne gab sich große Mühe, mich meiner neuen Umgebung und meinen neuen Aufgaben vertraut zu machen. Ich konnte es selbst kaum glauben, aber nach ein bis zwei Wochen war das Zuhause meiner Gastfamilie auch mein Zuhause geworden. Schnell hatte ich nicht nur meine Gasteltern und die Kinder in mein Herz geschlossen, sondern auch alle Bekannten und Verwandten, was einem bei der offenen und herzlichen Art der Australier nicht schwer fällt. Leanne führte mich Tag für Tag immer mehr in meine Aufgabenbereiche ein. Schnell hatte ich dann auch meinen Alltag gefunden. Zu meinen Aufgaben gehörten: Lunchboxen für die Schulkinder vorbereiten, Spülmaschine ausräumen, Wäsche machen, kleine Einkäufe erledigen, aufräumen, putzen, Betten machen und mich natürlich um die Kinder kümmern ?. Die meiste Zeit verbrachte ich mit der zweijährigen Abbey, da die beiden Großen schon in die Schule gingen. Morgens zog ich die Kleine an, spielte mir ihr im Garten oder im Haus, ging mit ihr einkaufen, auf den Spielplatz oder in die Bibliothek. Um die Mittagszeit sah ich immer zu, dass ich zuhause war, so dass ich Abbey Lunch machen und sie zum Mittagsschlaf legen konnte. In der Zwischenzeit machte ich die Wäsche oder räumte auf. Nachdem Abbey geschlafen hatte, malten wir zusammen, gingen auf den Spielplatz oder ich las ihr Bücher vor. Gegen 15:30 Uhr wurden die zwei Großen von Leanne aus der Schule abgeholt. Als sie nach Hause kamen, räumte ich die Lunchboxen aus ihren Schulranzen und legte die Schuluniformen für den nächsten Tag bereit. Danach war mein Arbeitstag meistens zu Ende. Leider hatte ich daher nicht ganz so viel Bezug zu Laura und Jessica, doch durch gelegentliches Babysitten am Abend oder durch Freizeitaktivitäten am Wochenende konnte ich auch zu ihnen ein gutes Verhältnis aufbauen, so dass ich auch für sie bald zur Bezugsperson wurde. Zwar hatte ich nicht immer am Wochenende frei, dennoch hatte ich nach der Arbeit genügend Freizeit. Regelmäßig ging ich ins Fitnessstudio, traf mich mit anderen Aupairs oder ging in das nahe liegende Shoppingcenter. In Australien bzw. in und um Melbourne herum gibt es so endlich viele Dinge zu tun und zu sehen, so dass man seine freie Zeit wirklich gut planen sollte. Langweile gibt es nie! Nach sechs Monaten in der Familie ging ich dann auf Reisen, um dieses riesige Land zu erkunden. Meine Gastmutter half mir dabei, meine Reiseroute zu gestalten und mein Gastvater gab mir Tipps beim Packen meines Backpacks. Die Kinder gestalteten eine kleine Abschiedsparty für mich. Ich reiste sechs Wochen quer durch Australien. Ich traf so viele nette Menschen und hatte einfach eine fantastische Zeit. Die Dinge, die ich gesehen und getan habe und die Menschen, die ich kennengelernt habe, werden mir ein Leben lang in Erinnerung bleiben. Es war so unglaublich, endlich die Sachen zu sehen, von denen man nur gelesen hatte oder nur vom Hören kannte. Ich kann es jetzt schon kaum abwarten, wieder nach Australien zurückzukehren und den Rest dieses wunderschönen Landes zu bereisen. Nach meiner Reise durfte ich noch einmal zu meiner Gastfamilie zurückkehren. Dafür und für viele andere Sachen, die sie für mich getan haben, bin ich ihnen unendlich dankbar. Wir alle genossen meine letzte Woche noch einmal intensiv zusammen. Eigentlich war ich gar nicht bereit, Australien schon zu verlassen. Während meiner Reise hatte ich Land und Leute erst richtig kennen und lieben gelernt. Ich glaube, auch meine Gastfamilie hat während meiner Abwesenheit gemerkt, was ihnen an mir liegt. Auch ich habe sie während meiner Reise sehr vermisst. Leider musste ich immer wieder feststellen, wie schnell die Zeit vergeht. Der Tag meines Abflug kam immer näher. Acht Monate Australien, die wie im Flug vergingen, waren vorbei und der Tag meines Abflug stand vor der Tür. Meine Gastfamilie überreichte mir am Morgen noch einige kleine Abschiedsgeschenke, die mich an meine Zeit in Australien erinnern sollen. Auch ich überreichte ihnen eine Fotocollage, mit vielen Fotos, die in diesen acht Monaten entstanden sind und unsere gemeinsame Zeit festhalten. Schon zuhause flossen viele Tränen. Mein Gastvater musste leider zur Arbeit, so dass meine Gastmutter und die Kinder mich zum Flughafen brachten. Dann kam der endgültige Abschied, der uns allen sehr schwer fiel. Es zerriss mir das Herz durch diese Tür gehen zu müssen und dieses wunderbare Land mit seinen wunderbaren Menschen zu verlassen. Dennoch konnte ich mich etwas trösten, da mir Leanne und George vorher erzählt hatten, dass sie in circa drei Jahren für sechs Monate nach Europa kommen wollen. Nun freuen wir uns jetzt schon, uns wiederzusehen. Wir schreiben uns regelmäßig Emails und tauschen Bilder aus. Das tröstet mich ein bisschen über mein „Heimweh“ nach Australien hinweg. Rückblickend kann ich sagen, dass meine Entscheidung nach Australien zu gehen das Beste war, was ich hätte machen können. Für mich war es die richtige Entscheidung, nach dem Abitur etwas komplett anderes zu machen. Hätte ich nicht auf mein inneres Gefühl gehört und wäre sofort nach der Schule studieren gegangen, wäre ich nun um einige Erfahrungen und Erinnerungen ärmer und hätte mich mein Leben lang geärgert. Auch wenn es manchmal nicht einfach war, weit weg von Familie und Freunde zu sein, habe ich meine Entscheidung keinen einzigen Tag bereut. Im Gegenteil: Ich war jeden stolz auf mich, dass ich so mutig war und mich für diesen Weg entschieden habe. Meine Zeit im Ausland möchte ich nie mehr missen. Ich kann nur jedem ans Herz legen, ins Ausland zu gehen. In dieser Zeit entwickelt man sich ungemein. Man lernt so viel über sich selbst, bekommt mehr Menschenkenntnis und wird weltoffener und toleranter. Ich staune noch täglich darüber, wie schnell und vor allem wie schnell die Menschen in meiner Gastfamilie mir ans Herz gewachsen sind. Außerdem ist mir noch bewusster geworden, wie kostbar und besonders Kinder sind. Noch heute schaue ich mir viele Fotos an und bin jedes Mal aufs Neue fasziniert, wie schnell Kinder sich entwickeln und Dinge lernen und annehmen, die man ihnen erklärt und versucht, zu erklären. Jetzt bin ich wieder zuhause in Deutschland und vermisse Australien unglaublich. Das hätte ich nie gedacht. Zuhause ist Zuhause. Dort hat man seine Wurzeln und dort lebt die Familie, die man schon ewig kennt und liebt. Dennoch kann ich es kaum abwarten, wieder auf Reisen zu gehen und noch mehr Kulturen kennenzulernen. Isabell Müller