Da ich nach Ende meines Studiums noch Zeit bis zum Beginn des Referendariats hatte, entschied ich mich, meine Englischkenntnisse noch mehr zu festigen und diese Zeit im Ausland zu verbringen. Die Entscheidung, nach England zu gehen, fiel dann auch ziemlich schnell, da ich das Land und vor allem den Dialekt schon immer toll fand. Allerdings habe ich dann doch lange mit mir gehadert, ob ich es wirklich durchziehen soll. Während der gesamten Bewerbungsphase kam mir alles noch total unwirklich vor und selbst als ich dann im Flugzeug saß, konnte ich es immer noch nicht wirklich glauben, dass ich das jetzt wirklich durchziehe. Aber im Endeffekt war es eine sehr gute Entscheidung, die ich auch während meines Aufenthalts nicht bereut habe. Ich bekam von der Agentur viele Vorschläge mit Gastfamilien und hatte auch mit zwei Familien Kontakt, bevor ich dann mit meiner eigentlichen Gastfamilie gesprochen habe. Sally und Phil suchten ein Au Pair, da Phil unter der Woche auf der Isle of Man arbeitet, und Sally so mit beiden Kindern allein etwas überfordert war. Sally und Baby Sam (damals 4 Monate) waren mir dann bei unserem ersten Skypegespräch schon gleich sympathisch und dann ging es irgendwie ganz schnell. Samstags haben wir uns kennengelernt, dienstags dann schon den Vertrag unterschrieben und wenige Wochen später saß ich schon im Flugzeug nach London. Der Abschied von meiner Familie und vor allem von meinem Freund fiel mir natürlich sehr schwer, aber alle unterstützten mich, wo sie nur konnten.Am Flughafen empfing mich dann gleich Phil und wir fuhren zwei Stunden nach Milford on Sea. Dort wurde ich sehr herzlich von Sally, Ted (2 Jahre) und Sam begrüßt. Ich durfte auch gleich beim Baden mithelfen und lernte so schon mal einen Teil meiner Aufgaben kennen. Am nächsten Morgen ging es dann auch schon gleich direkt mit meinem Alltag los. Um 6:45 begann mein Arbeitstag mit Fläschchen richten für die Kinder, Spülmaschine ein- und ausräumen und Wäsche waschen, zusammenlegen und aufräumen. Ziemlich schnell merkte ich, warum Sally so dringend jemanden gebraucht hat: Ted ist ein sehr zorniges Kind, dem es zu Beginn nicht gefallen hat, die Aufmerksamkeit seiner Mama mit einem kleinen Bruder teilen zu müssen. Auch wenn er sich ziemlich schnell dazu entschloss, mich erstmal zu ignorieren, erkannte er mich doch zumindest als willkommenen Abnehmer für Sam an, sodass er seine Mama dann wieder für sich hatte. Auch unsere Bemühungen, ihn davon zu überzeugen, etwas mit mir zu spielen, schlugen erstmal fehl. Deshalb verbrachte ich dann um so mehr Zeit mit Sam, da dieser auch zu Beginn von typischen Babyproblemen, wie einem unregelmäßigen Schlafrhythmus, Blähungen etc. geplagt wurde. Sally war deshalb sehr froh, als ich mich anbot, ein paar mehr Stunden zu arbeiten, um sie noch mehr zu entlasten. Sam und ich wurden schnell richtig gute Freunde und wir vermissten uns gegenseitig, wenn ich am Wochenende nicht da war. Doch auch meine Beziehung zu Ted wurde mit der Zeit immer besser und nach drei harten Monaten, in denen wir uns langsam annäherten, konnte er gar nicht mehr genug davon bekommen, mit mir im Planschbecken zu spielen oder durch den Strahl des Rasensprengers zu laufen. Meine Freizeitgestaltung war zu Beginn etwas schwierig. Milford on Sea ist ein sehr hübsches Örtchen direkt am Meer gegenüber der Isle of Wight. Im Sommer habe ich den Strand auch täglich genutzt, aber als ich in England ankam war Februar und dementsprechend noch kein Strandwetter. Als es dann auch noch zum ersten Mal seit Jahren wieder geschneit hat, war an Rausgehen natürlich nicht mehr zu denken. Außerdem leben in Milford on Sea hauptsächlich Rentner und nur sehr wenige junge Leute oder Familien, weshalb ich die ersten Wochen dann doch ziemlich einsam war. Ich informierte über Sportmöglichkeiten und versuchte so, etwas Anschluss zu finden. Blöderweise war auch das Sportprogramm an die ältere Bevölkerung angepasst, und so musste ich mich erstmal mit vielen Omis beim Zumba Gold „verausgaben“. Die Omis waren natürlich glücklich, jemand so junges dabei zu haben und luden mich gleich mal ganz typisch britisch zu einer Tasse Tee ein. Über das Zumba kam ich dann doch auch noch zu ein paar „richtigen“ Sportkursen, in denen ich dann auch ein paar Damen traf, die sich nicht schon im Ruhestand langweilten. So konnte ich dann meine Freizeit unter der Woche doch ganz gut füllen. Die Wochenenden waren allerdings zu Beginn nicht so einfach zu füllen. Zwar war die Zugverbindung nach Bournemouth und Southampton ganz gut, aber auch da hatte ich bald alles gesehen, was man sehen muss. Nachdem ich ein bisschen gegoogelt hatte, fand ich eine Organisation, die Tagestouren anbot und so begann ich den Süden von England zu erkunden. Ich kann jedem nur empfehlen an solchen Touren teilzunehmen, vor allem, wenn man, so wie ich, keinen Sprachkurs besucht. Da die Sprachschulen oft mit diesen Organisationen zusammenarbeiten, nehmen hauptsächlich junge Leute daran teil. Ich habe auf jeder Tour viele nette Leute kennengelernt und bin dann mit manchen in Kontakt geblieben und zum Beispiel später nach Schottland gereist. Ich würde jedem empfehlen, die Chance, in einem anderen Land zu leben, zu nutzen. Man lernt unglaublich viel über die fremde Kultur, aber auch über sich selbst. Ich hätte es mir zu Beginn ehrlich gesagt auch nicht zugetraut, es wirklich durchzuziehen, aber als ich dann in England ankam, war plötzlich von Heimweh keine Spur mehr. Natürlich denkt man immer an zu Hause und an alles, was man gerade verpasst, aber die Erfahrungen im neuen Land nimmt einem auch niemand mehr weg. Ganz nach dem Motto: „travel while you’re young and able to. Don’t worry about the money, just make it work. Experiences are far more valuable than money ever will be!”
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