6 Monate in London Montag, Ende August, mein Abreisetag: Hm, wieso wollte ich das doch gleich machen, für ein halbes Jahr ins Ausland? Allein, ca. 1,5 Flugstunden von Familie und Freunden, Vertrautem und Gewohntem, gerade jetzt, wo’s doch die letzten Monate so schön war… Abi gut überstanden, oft gefeiert in den zweieinhalb freien Monaten danach, gejobbt, entspannte Stunden am See verbracht und endlose Grillabende veranstaltet. Und jetzt soll ich weg. Die Entscheidung, als Au-pair nach England zu gehen, ist ja schon vor über einem halben Jahr gefallen und jetzt ist es sowieso zu spät: Mit drei Koffern bepackt stehe ich am Münchner Flughafen und mein Gastvater erwartet mich mit einem meiner Gastbrüder am Flughafen. Einen tränenreichen Abschied und ein paar Stunden später stehe ich in Stansted mit einem sehr flauen Gefühl in der Magengegend und halte nach meinem Empfangskomitee Ausschau. Ich sehe niemanden, der den Fotos, die ich von meiner Gastfamilie kenne, ähnlich sieht oder – wie versprochen – ein Schild mit meinem Namen hochhält. Aber der Herr da gaaanz vorne rechts, mit dem kleinen Jungen an der Seite, sieht so aus, als könnte er mein Gastvater sein. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen lege mir schon mal gedanklich einen englischen Satz parat und spreche die beiden an „Excuse me, …“. As it turns out die beiden sind eine Hälfte meiner Gastfamilie (auch mit Schild ausgerüstet) und haben mich vorhin übersehen, genau wie ich sie… Kaum sind wir am Haus meiner Gastfamilie geht es schon los mit „Programm“: Ich lerne meine Gastmutter und meinen anderen Gastbruder kennen, bekomme das Haus und die Gegend, in der ich im nächsten halben Jahr leben werde gezeigt. Alles macht einen sehr guten Eindruck auf mich: Ich fühle mich in der Familie von Anfang an wohl, nur bin ich von der Großstadt London überwältigt – in Deutschland lebe ich in einem 2500-Seelen-Dorf. Schon in meiner ersten Woche geht für die Kinder die Schule und damit die Alltagsroutine meiner Gastfamilie wieder los, d. h. auch für mich beginnt nun ein neuer Alltag. Schnell gewöhne ich mich an die fremden Tagesläufe, meine Aufgaben (Kinderzimmer aufräumen, mit unserem Hund spazieren gehen, bügeln,…) und merke rasch, dass ich ungewohnt viel Freizeit habe. Nur – was tun? Ich kenne hier außer meiner Gastfamilie niemanden. Noch nicht! Deshalb melde ich mich schleunigst an einer
Sprachschule an und verabrede mich mit anderen Au-pairs, die ich über eine Internetplattform oder das sehr nützliche „contact sheet“ von der britischen Agentur kontaktiert habe. Viel zu früh (man weiß ja nie wie lange Londoner Busse brauchen :-)) stehe ich Freitagabend an unserem Treffpunkt und warte. Die anderen Mädels verspäten sich so sehr, dass mir ein netter Herr, der eine Zeit lang „mit mir“ gewartet hat, wünscht: „I hope you’re not stood up, sweetheart!“ Sweetheart? Okay… Anyway, wir verbringen einen gemütlichen Pub-Abend, verstehen und auf Anhieb sehr gut und sehen uns während unserer gemeinsamen Zeit in London fast jedes Wochenende. Auch im college lerne ich nette Leute kennen. Sind die ersten Kontakte erst einmal geknüpft, findet sich immer jemand, der Zeit hat, etwas zu unternehmen. So fliegt die Zeit dahin: Wochentags erledige ich meine Pflichten in meiner Gastfamilie, gehe ins college und pauke Englisch auf sehr hohem Niveau. An den Wochenenden gehen wir aus und erkunden „the capital“ mit allen ihren Sehenswürdigkeiten: Big Ben, Westminster Abbey, Tower of London, Tower Bridge, Trafalgar Square, die Shoppingmeile Oxford Street, Picadilly Circus, und und und. Langeweile? Fehlanzeige! Auch mein college mischt in meiner Freizeitgestaltung mit: Ab und an werden Ausflüge in bekannte englische Städte, wie zum Beispiel Cambridge, Bath oder Stratford-upon-Avon, oder Musical-Abende zu Sonderpreisen organisiert, was das doch eher schmale Portemonnaie eines Au-Pairs schont. In den Schulferien verbringe ich ein paar wunderschöne, sonnige Tage Urlaub mit meiner Gastfamilie in Cornwall in deren Strandhaus, fernab vom Großstadttrubel. Ein Highlight sind natürlich auch die Tage um Weihnachten, die ich zu Hause verbringe und alle Verwandten und Freunde wieder in die Arme schließen kann. Aber wieder nach Hause nach London zu kommen ist auch immer ein gutes Gefühl gewesen. Ehe ich mich versah waren die 6 Monate auch schon wieder vorbei und ich musste meiner Wahlheimat auf Zeit, meiner Gastfamilie und „meinen Mädels“ auf Wiedersehen sagen. Und dieser Abschied war nicht leichter als der vor einem halben Jahr. Mein Fazit? Die Zeit in London zählt mit Sicherheit zur „time of my life“. Die Unbeschwertheit, relativ wenige Verpflichtungen zu haben und einfach so in den Tag hinein zu leben vermisse ich im Moment, zwischen Wohnungssuche und Studienbeginn doch sehr. Ich bereue keine Sekunde meines Aufenthalts in England und kann jedem, der mit der Überlegung spielt, ins Ausland zu gehen, nur raten, diesen Schritt zu wagen!!!